HRV Einführung und die Bedeutung von Regulation
Das Herz als ein Erfolgsorgan wird in seiner Funktion vom vegetativen Nervensystem gesteuert und fortwährend der aktuellen Situation angepasst!
„Die ständige Anpassung der Abstände von Herzschlag zu Herzschlag (RR-Zacken) durch das übergeordnete vegetative Nervensystem ermöglicht dem Organismus in Bruchteilen einer Sekunde auf geänderte Lebenssituationen zu reagieren, um zu überleben = ständige Regulation.“
Die biologisch sinnvollen Reaktionen auf lebensbedrohliche Ereignisse (früher Kampf und Flucht) werden heute übertragen und interpretiert auf viele Alltagssituationen wie: Partnerschaftsstress, Streit mit den eigenen Kindern, beruflicher Stress, Ärger mit Kollegen oder dem Chef, das ständige Gefühl von Überforderungen im Alltagssituationen, Schreiben vom „Finanzamt“, häufiges Schauen von aufregenden TV-Sendungen, Filmen oder Sport oder Spielen von Action-Videospielen usw.
Sympathikus und Parasympathikus steuern letztendlich alle Organe, Gewebe und Zellen. Ergebnis: Normalfunktion, „Überfunktion“ oder „Unterfunktion“
Der periphere Teil des VNS besteht im Wesentlichen aus dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Der Sympathikus (rot) entspringt dem Brustmark und den oberen drei Segmenten des Lendenmarks und wird deshalb auch thorakolumbales System genannt. Der Parasympathikus (blau) entspringt dem Hirnstamm und dem Sakralmark und wird deshalb auch kraniosakrales System genannt.
Gegensätzliche Organ- und Gewebsreaktionen, gesteuert durch Sympathikus und Parasympathikus
Wenn z. B. eine längerfristige Stresssituation besteht, sind folgende Werte und Laborparameter sinnvollerweise erhöht, da der Körper sich in einer „Kampf- und Fluchtreaktion“, also einem Überlebenskampf befindet:
- Erhöhter Blutdruck
- Beschleunigte Herzfrequenz
- Erweiterte Pupillen
- Erhöhte Energieproduktion (ATP)
- Erhöhter Blutzuckerspiegel
- Aktivierung der Blutgerinnung
- Einschlaf- und Durchschlafstörung
- Erhöhte Produktion von Stresshormonen
Welche möglichen Fehldiagnosen und Therapien ergeben sich ohne die HRV Analyse?
Physiologische Grundlagen
Das vegetative Nervensystem (VNS) ist neben dem zentralen Nervensystem (ZNS) die wichtigste neuronale Steuereinheit des Organismus. Die Hauptfunktion besteht darin, das innere Milieu des Körpers an externe und interne Belastungen (Reize) anzupassen und eine konstante Funktion des Organismus aufrecht zu halten.
Das periphere VNS ist in ein komplexes System eingebunden, das neben Verbindungen zum Hirnstamm auch mit dem Hypothalamus und anderen im ZNS gelegenen Strukturen verbunden ist.
Der Wissenschaftler v. Hering prophezeite 1925:
„Die weise Benutzung des vegetativen Systems wird einmal den
Hauptteil der ärztlichen Kunst ausmachen.“
Das Limbische System
Das Limbische System, das auch Säugergehirn genannt wird, entstand in der frühesten Phase der Entwicklung von Säugetieren. Es steuert und reguliert die für die sozialen Aspekte der Säugetiere wichtigen Empfindungen, z. B. Angst, Liebe, Lust, Lernen, Sorge um den Nachwuchs und Spieltrieb.
Das limbische System wurde zum ersten Mal von Paul Broca 1878 beschrieben. Dabei bildet das limbische System weniger ein Organ an sich, sondern eher eine funktionale Einheit, die für die Verarbeitung von Emotionen, Antrieb und Lernen verantwortlich ist.
Regelgrößen der HRV
Der Sinusknoten ist an der Innenseite der hinteren Wand des rechten Vorhofs lokalisiert. Die von dort ausgehende Erregung wird über die Muskulatur auf den Atrioventrikularknoten (AV-Knoten) und von dort auf die Herzkammern weitergeleitet.
Der Sinusknoten ist der schnellste und damit übergeordnete Schrittmacher des Herzens mit einer intrinsischen Eigenfrequenz von 80 bis 120 Schlägen pro Minute.
Modulation der Herzfrequenz
Der Herzmuskel wird sowohl von sympathischen als auch von parasympathischen Anteilen innerviert. Der Sympathikus hat eine frequenzerhöhende (positiv chronotrope) Wirkung, während der Parasympathikus frequenzsenkend (negativ chronotrop) wirkt.
Ist die Herzfrequenz geringer als die intrinsische Erregerfrequenz des Sinusknoten (80-120), ist der Parasympathikus dominant. Wenn die Herzfrequenz höher ist, dominiert der Sympathikus.
Baroreflexintegration
Die Signale der Barorezeptoren erreichen den Nukleus tractus solitarii (NTS) im Hirnstamm. Von dort aus gelangen die Signale zum Nukleus ambiguus und der rostroventrolateralen und caudoventrolateralen Medulla oblongata, von denen jeweils exzitatorische und inhibitorische Impulse an das Herz und die Gefäße gesendet werden, um den arteriellen Blutdruck zu steuern.
Baroreflex / Barorezeptoren
Als zentrale Beeinflussungsmechanismen der HRV sind die Baroreflexaktivität sowie die respiratorische Sinusarrhythmie (RSA) zu nennen. Die Baroreflex-Steuerung dient der permanenten Aufrechterhaltung eines adäquaten (mittleren) arteriellen Blutdrucks zur Versorgung aller Organsysteme.
Die im Aortenbogen und Carotissinus gelegenen Rezeptoren haben eine sehr hohe Empfindlichkeit und reagieren auf minimale Druckveränderungen. Bei körperlicher Anstrengung oder Sport kommt es zu einer Verschiebung der Empfindlichkeitsschwelle, um dem höheren Sauerstoffbedarf gerecht zu werden. Eine durch permanente Sympathikusstimulation veränderte Schwelle hat einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung eines Hypertonus.
Respiratorische Sinusarrhythmie – RSA
Die Abhängigkeit der Herzfrequenz von der Respiration wird als respiratorische Sinusarrhythmie (RSA) bezeichnet:
- Während der Inspiration (Einatmung) eine Zunahme der Herzfrequenz
- Während der Expiration (Ausatmung) eine Abnahme der Herzfrequenz
Die RSA wird vor allem durch die wechselnde Aktivität des Nervus Vagus vermittelt.
Einflüsse auf die atmungsabhängige Herzfrequenzvariabilität:
- Pulmonale, vaskuläre und kardinale Dehnungsrezeptoren
- Respiratorische Zentren im Hirnstamm
- Unterschiedliche Baroreflex-Sensitivität in den jeweiligen Phasen des Atemzyklus
Aufgrund einer inspiratorischen vagalen Inhibition ergeben sich Fluktuationen der Herzfrequenz mit derselben Frequenz wie der Atmung.
Die inspiratorische Inhibition wird primär durch den Einfluss des medullären respiratorischen Zentrums auf das medulläre kardiovaskuläre verursacht.
Zusätzlich sind periphere Reflexe aufgrund hämodynamischer Veränderungen und thorakaler Dehnungsrezeptoren verantwortlich.
RSA – ein Resonanzphänomen
Das Resonanzphänomen beschreibt die Überlagerung von in diesem Fall biologischen Schwingungen. Die physiologische respiratorische Sinusarrhythmie beschreibt einen Frequenzbereich von ca. 0,3 Hz. Durch eine getaktete Atmung mit einer Frequenz von 6 Atemzügen/min. verschiebt sich diese Frequenz in den Bereich von ca. 0,1 Hz, in dem z. B. die Grundfrequenz der Baroreflexintegration angesiedelt ist. Hierdurch erreicht man eine Veränderung der HRV, die sich in der Analyse unmittelbar darstellen lässt.
Im Rhythmogramm (Abb. unten) deutlich zu sehen: links HRV mit „normaler“ Atmung bis Mitte Rhythmogramm, danach HRV mit Taktatmung. Längerfristig führt diese Atemmodulation zu einer Stärkung der Baroreflexsteuerung und einer verbesserten Aktivität des Parasympathikus.
Resipiratorische Sinusarrhythmie (RSA)
Resipiratorische Sinusarrhythmieals Resonanzphänomen
Der Rhytmus des Herzen lässt sich durch resipiratorische Taktung spontan beeinflussen!
Spektralanalyse – Frequenzbasierte Parameter
Die reinen RR-Intervalle können durch die FFT (Fast- Fourier-Transformation) in ihre Frequenzanteile zerlegt werden. Es ergeben sich aus dem Signal Frequenzanteile in den Bereichen VLF, LF und HF. Die Gesamtleistung wird in TP (Total Power) angegeben.
VLF – Very Low Frequency Frequenzbereich: 0,00 – 0,04Hz
LF – Low Frequency Frequenzbereich: 0,04 – 0,15Hz
HF – High Frequency Frequenzbereich: 0,15 – 0,4Hz
LF/HF Ratio
Aus unserer Sicht und der renommierter Wissenschaftler und Sportwissenschaftler sind die frequenzbasierten HRV-Parameter (Spektralanalyse) für den alltäglichen Gebrauch nicht gut geeignet, da sie sehr anfällig sind und Parameter wie z. B. der VLF-Bereich in einer Kurzzeitmessung nicht ausreichend abgebildet werden können. Daher beschränken wir uns auf die Zeitbereichsparameter, die für eine Kurzzeitmessung valide sind.
Nicht lineare HRV-Parameter
Alpha 1 oder DFA 1: detrendet fluctuation analysis (trendbereinigte Fluktuationsanalyse). Der Wert Alpha 1 misst nicht nur die rein zeitlichen Veränderungen in der Herzfrequenzvariabilität, sondern er misst die Qualität der Regulation.
Diese nichtlinearen Parameter und Werte spielen bei der therapeutischen Anwendung und Auswertung eine größere Rolle.
Durch Überprüfung der HRV-Rohdaten nach zufälligen und sich wiederholenden Bereichen kann so analysiert werden, wie die einzelnen Regelsysteme zusammenarbeiten.
Optimal wäre der Wert Alpha 1 bei 1,0. Dies sagt aus, dass in der Herzfrequenzvariabilität 50 % zufällige Signale auftreten, die auf schnelle Reaktionsfähigkeit hindeuten und 50 % der Signale aus wiederholenden Signalen bestehen. Dies deutet auf eine grundlegende Stabilität der Regelsysteme hin.
Alles über 1,0 bedeutet mehr Stabilität und bedeutet eher Kompensationsprozesse in den einzelnen Regelsystemen.
Alles unter 1,0 bedeutet viel Zufälligkeit und weist ab einem Wert von unter 0,8 auf keine gute Zusammenarbeit der Regelsysteme hin. Man kann diesen Zustand auch als Chaos im System bezeichnen.
Ein Beispiel für Stabilität im System ist zum Beispiel die Messung unter getakteter Atmung. Wenn eine Messung unter vorgegebenem Atemtakt durchführt wird, kommt es zu einer respiratorischen Sinusarrhythmie (RSA), die sehr schön im Rhythmogramm zu erkennen ist. Das Signal sieht sehr gleichförmig aus, das bedeutet, es ist mehr Stabilität im biologischen Regelsystem vorhanden. Die Regelsysteme arbeiten sehr eng miteinander gekoppelt, es besteht die sogenannte Kohärenz. Unter Taktatmung steigt der Wert Alpha 1 also zwangsläufig an. Dies ist somit nicht negativ zu bewerten, sondern zeigt, dass die Systeme in Kohärenz treten können.
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